Folgenden kleinen Beitrag von mir für die
Achse des Guten, sollt Ihr, liebe Gemeinde, auch lesen dürfen. Vielleicht steht Ihr ja vor dem selben Problem:
Straßen sind Schall und RauchWarum Rudi Dutschke meine Stimme nicht bekommt
Als Ausländer werde ich selten gefragt - zum Beispiel von wem ich regiert werden möchte. Wenn ich dann doch mal wählen, also meine Stimme abgeben darf, dann bin ich natürlich besonders erfreut. Jetzt ist es mal wieder so weit. Fein! Ein Bürgerentscheid in Berlin-Kreuzberg-Friedrichshain steht an, und ich darf bei der überaus wichtigen Frage mitentscheiden, ob ein Stück Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße umbenannt werden soll.
Das hat mich in schwere Gewissenskonflikte gebracht. Zuerst dachte ich ganz spontan: Was geht mich das an? Der zweite Gedanke war: Straßenumbenennung in Berlin? Das find ich gut. Es gibt so viele Straßen, die Namen von preußischen Generälen und anderen Feinden der Aufklärung, von Ostgebieten, Militärs und Feudalherrschern tragen, dass mir unzählige einfallen würden, die man sofort in irgendetwas anderes umbenennen oder am besten gleich aus dem Stadtplan streichen sollte. Zum Beispiel das Berliner Olympiastadion, das noch vom Führer höchstpersönlich ernannt wurde. Vielleicht in „Nike-Arena“, nach der griechischen Siegesgöttin? Das wäre doch nett. Doch genau dagegen macht Berlin gerade mobil. Olympiastadion muss bleiben, trommelt auch die „Bild“-Zeitung heftig mit. Wo bitte kann ich für „Nike“ stimmen? Nirgends? Schade.
Nein, man fragt mich nur zu olle Dutschke. Nun, da bin ich als Linker gefragt. Als Theoretiker des nationalen Antiimperialismus und als designierte Kandidat der alles andre als linken Bremer Grünen Liste steht Rudi Dutschke so ziemlich für alles Schlechte, was die radikale Linke hervorgebracht hat. Also klares: No! Andererseits hat sein früher Tod ihn vor einer Karriere wie der von Bernd Rabehl oder Horst Mahler bewahrt. Und immerhin war Dutschke kein Stalinist, er steht also auch für die Konstituierung einer Linken jenseits von Sowjet-Hörigkeit und autoritärem Staatsdenken. Und, wenn man mal alle seine Äußerungen und Aktivitäten beiseite lässt, also wenn man Dutschke beiseite lässt, dann steht „Dutschke“ symbolhaft für den Aufbruch der 68er Bewegung, der bei allem Unsinn, und auch reaktionären Gehalt, den er hervorgebracht hat, im post-faschistischen, entlang des „Eisernen Vorhangs“ geteilten Deutschland doch ein
unentbehrlicher antiautoritärer Kultur- und Gesellschaftsinput war, und natürlich in Berlin eine historische Rolle gespielt hat, der man durchaus eine Straße würdigen darf - zumal wenn andere Straßen nach ganz anderen Halunken heißen.
Soweit so gut. Mein Zwischenergebnis also war: Es ist zwar nicht mein Anliegen, aber man könnte, trotz aller Kritik an Dutschke, durchaus eine Straße nach der 68er-Bewegung, meinetwegen auch personalisiert an Dutschke, benennen. Aber welche? Die Kochstraße ist nach einem Bäckermeister aus dem 18. Jahrhundert benannt, völlig irrelevant der Typ, und immerhin sollen ein Stück der Straße und der U-Bahnhof weiter seinen Namen tragen. Es gibt also kein Argument, Herrn Koch aus dem Straßenbild zu radieren, aber es gibt auch keines, weshalb eine Straße unbedingt nach ihm benannt sein sollte. Dies führt also nicht weiter.
Doch da gibt es natürlich noch den Aspekt, wo diese Straße verläuft. Sie führt rein zufällig direkt am Redaktionsgebäude der „taz“ vorbei, dem „Rudi-Dutschke-Haus“, und rein zufällig war auch die „taz“ die Initiatorin der Kampagne für die Dutschke-Straße. Kurz: Es ist also eine etwas peinliche Werbekampagne, die ich selbstverständlich aufgrund meines ausgeprägten Fremdschamgefühls nicht mittragen kann. Andererseits: Es ist eine gelungene Werbekampagne, die so gesehen auch kollegialen Respekt verdient, und: Hat nicht auch der Axel-Springer-Verlag, schräg gegenüber, seine Axel-Springer-Straße bekommen? Warum sollte die „taz“ also keine Straße nach ihrem Helden benennen dürfen?
Aber da wären wir auch schon beim nächsten Punkt: Die Rudi-Dutschke-Straße soll auch am Springer-Hochhaus vorbei führen. Der Symbolgehalt ist klar. Springer wurde von den 68ern zum Feindbild erklärt und durch die Umbenennung wird dieses Feindbild weiter gepflegt und neu aufgelegt. Doch dieses Feindbild war in den Siebzigern falsch und es ist auch heute falsch. Wie die „Bild“ machte auch Rudolf Augstein im „Spiegel“ den SDS für die von der Polizei getöteten Studenten im Frühjahr 1967 verantwortlich. Auch sonst war man nicht zimperlich mit der Verurteilung langhaariger Studenten. Und im Nachhinein gesehen war so manche Kritik an den Mao-Jüngern und Eso-Spinnern etwa ja auch völlig korrekt.
Die bürgerliche Reaktion auf 68 allein Springer zuzuschieben, ist nichts, als die Vereinfachung der Geschichte auf ein gefälliges Feindbild. Vielleicht war die Konzentration der Kritik auf Springer damals, als Springer tatsächlich über ein dominierendes Medienimperium verfügte, noch nachvollziehbar. Heute weiß jeder, dass die „Bild“ nicht die Meinung im Lande diktieren kann. Nicht nur, weil die Wirkung von Fernsehbildern jedes gedruckte Wort x-fach übertrifft. Auch weil die „Bild“, Springers umstrittenstes Produkt, keine Meinung macht, sondern die populärste wiedergibt, und sich zueigen macht (siehe Olympiastadion). Populismus nennt man das. Das darf, nein muss man kritisieren. Aber Meinungsmache ist das nicht. So verkauft man Zeitungen – und nicht indem man Leute mit ihnen nicht genehmen Meinungen konfrontiert. Ich weiß
wovon ich spreche.
Zwei Themen gibt es genau, bei denen die „Bild“ nicht einfach nur Multiplikator eines vermeintlichen oder tatsächlichen „Volkswillen“ ist: Das sind die Beziehungen zu Israel und den USA. Hier hat sich Springer festgelegt, und ist heute ein Fels in der Brandung des grassierenden Antiamerikanismus’ und antiisraelischer Stimmungen. Ganz im Gegensatz etwa zum „Spiegel“, der gerade bei diesen Themen regelmäßig versucht, seine Verkaufszahlen durch Anpassung an das Ressentiment zu steigern. Man kann über die verschiedenen Springer-Produkte selbstverständlich verschiedener Ansicht sein, aber gegenüber „Rudi Dutschke“, bzw. dem, was damit gemeint ist, gilt es „Springer“, bzw. das, was damit gemeint ist, zu verteidigen.
So. Was nun tun mit dem Bürgerentscheid, den die CDU angeleiert hat, um die Umbenennung zu verhindern - vor allem, weil es zu viel kosten würde, argumentiert sie. Und umständlich wäre das doch auch.
Das ist allerdings lächerlich, nein das ist typisch Berliner Provinz-CDU. Dafür bekommen die meine Stimme ganz sicher nicht.
Dutschke-Straße ja, aber woanders - ist bei der Bürgerbefragung nicht vorgesehen. Benno-Ohnesorg-Straße auch nicht. Tja… Da darf ich mal bei einer weltbewegenden Entscheidung mitbestimmen, und dann gerate ich ins Feuer zwischen einer Sponti-Bezirksregierung und der Diepchen-CDU. Wie gut, dass es mir im Grunde auch egal ist, ich wohne ohnehin ganz woanders. Vom Rudi-Dutschke-Haus muss man erst über den Moritzplatz (Moritz Nassau, der „Vater der modernen Kriegführung“), dann die Skalitzer Straße (erinnert an die Preußenschlacht bei Skalitz) entlang, am Schlesischen Tor (die Landsmannschaft lässt grüßen) vorbei, rüber nach Friedrichshain (nach dem Alten Fritz).
Ach. Ich würde so gerne mal etwas umbenennen in Berlin. Zum Beispiel Neukölln in Düsseldorfer Alt, oder die Odinstraße in Elfenweg, oder den Zentralbahnhof in Peripheriekaufhaus, aber mich fragt ja keiner…