TELAVIVO
Folgende kleine Kolumne von mir steht morgen in der Jungle World. Dazu hier noch eine Ergänzung…
Multitasking
Vor meinem Abflug hatte ich mir ja ein wenig Sorgen gemacht. „Bring mir bitte Folgendes mit“, hatte mein Gastgeber mir aus Israel nach Berlin gemailt. Dann folgte eine lange Einkaufsliste, die von „Kochschinken“, „Parma- und Serano-Schinken“, über „2 x Honig (wichtig!)“, „Camembert“, bis zu „eine Flasche Maggi“ reichte. Auch einen Stapel HipHop-Platten sollte ich in einem Spezialladen in Berlin besorgen. Eine andere Freundin wollte ein einfaches Hustenmedikament mitgebracht bekommen. Was ist bloß aus Israel geworden, seit ich zum letzten Mal vor knapp drei Jahren dort war, dachte ich. Verarmt, abgebrannt, am Hungertuch nagend?
Nein, es sind eben nur ein paar Dinge billiger und andere erheblich teurer als in Deutschland. Es gibt jedoch so ziemlich alles, und einiges auch im Überfluss. Vor allem Handys und Frisöre. Und Humus natürlich. Humus sowieso. Die Tel Aviver tragen ihr Handy rund um die Uhr bei sich und zwar am Ohr. Ein Arm ist daher immerzu angewinkelt, als ob das die gottgewollte menschliche Haltung sei, alle weiteren Tätigkeiten müssen mit der anderen Hand ausgeübt werden. Das beherrschen die Tel Aviver aber perfekt. Nur wenige behaupten, dass der Militäreinsatz im Libanon deshalb so unbefriedigend verlaufen sei, weil man mit einer Hand eben nicht vernünftig schießen oder Panzer fahren kann. Das ist aber Quatsch. Denn wie sollen die Soldaten sonst ihre Befehle empfangen?
Ob sie über die Straße gehen, am Strand im Café sitzen, im Einkaufscenter shoppen, oder mit dem Auto im Stau stehen – die Tel Aviver sind nie allein. Sie sind mental ganz woanders, pflegen ein ausgiebiges, beileibe nicht auf einen kurzen Informationsaustausch angelegtes Gespräch mit irgendwem, der wahrscheinlich gerade an einer anderen Stelle über die Straße geht, im Café sitzt, einkauft oder im Stau steht.
Als ich allein in der Dizengoff an einer roten Fußgängerampel wartete, stehen mir auf der anderen Straßenseite fünf Leute gegenüber, nebeneinander, jeder den rechten Arm angewinkelt, das Handy am Ohr und offenbar in eine interessante Unterhaltung vertieft. Ich fühlte mich plötzlich sehr allein. Jetzt habe ich eine israelische Telefon-Karte und scheine endlich angekommen zu sein.
Das andere, was es, neben Humus natürlich, im Überfluss gibt, sind Frisöre. In der City Tel Avivs gibt es unzählige. Hier im Weizmann-Kiez im Vorort Givatayim sogar doppelt so viele. Zwei, drei Geschäfte nebeneinander sind keine Seltenheit, auf der anderen Straßenseite ist dann noch eins, und zehn Meter weiter kommen die nächsten. Wenn man abends durch eine dunkle Straße geht und irgendwo brennt ein Licht, kann man darauf wetten, dass es ein Frisör ist. Ich weiß ja immer nicht, wie das mit dem Kapitalismus funktioniert, aber dass es funktioniert, ist ein Wunder. Hier offenbart es sich. Es kann nur eine Erklärung dafür geben: Man kann prima, während man sich die Haare schneiden lässt, telefonieren.
Vermutlich kehren die Tel Aviver oft nur deshalb bei einem Frisör ein, um mal in Ruhe ein wenig mit der Freundin oder dem Kollegen zu plauschen, die bzw. der ganz sicher zur selben Zeit bei einem anderen Frisör sitzt – zu eben jenem Zwecke.
Postskriptum:
Inzwischen sind meine Recherchen weiter gediehen. Die Tel Aviver können auch sehr gut freihändig telefonieren, das Handy zwischen Kinn und Schulter eingeklemmt. In dieser Weise bekam ich zum Beispiel heute ein Falafel zubereitet. Gestern sah ich eine Frau, die wegen eines Gipsbeins an zwei Krücken gefesselt war. Das hinderte sie allerdings nicht daran, beim humpeln mit einklemmten Handy munter herumzutelefonieren. Viele haben auch Freisprechanlagen und telefonieren so etwa beim Motorroller-Fahren. Woher die Israelis diese Leidenschaft haben, ist mir inzwischen auch klar. Sie wird ihnen von früh an anerzogen. Im Bus saß mir gegenüber eine junge Mutter mit ihrem Kleinstkind, offenbar noch keine zehn Worte mächtig. Aber einen Namen konnte das Kind sagen, woraufhin die Mutter sofort ihr Handy zückte und die entsprechende Nummer wählte, um das Telefon dem Kind ans Ohr zu halten.
Foto: Heute am Strand
3 Comments:
Besser gefällt mir bei den RollerfahrerInnen noch die Variante, das Mobiltelefon zwischen Helmpolster und Ohr zu klemmen. Auflegen tut man ja eh nie.
krass. das habe ich noch nicht beobachtet, aber wundert mich kein stueck mehr...
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