Dienstag, September 26, 2006

Dialog aus Angst und das europäische Stockholm-Syndrom

Ich hatte ja kürzlich über das Phänomen der „gegendrehenden“ Kolumnisten in den Niederlanden geschrieben. Diese Woche haben wir für die Jungle World und unser Titelthema „Talkshow der Kulturen“ (zur Mittwoch beginnenden Deutschen Islam Konferenz) erfreulicherweise wieder einen dieser Kolumnisten als Autoren gewinnen können:
Theodor Holman, ein Freund des ermordeten Theo van Goghs und Ayaan Hirsi Alis. Er spricht vom Stockholm-Sydrom, das wir in Europa erleben würden, und sieht die Meinungsfreiheit ernsthaft in Gefahr. Der Dialog der Kulturen - wie ihn der olle Papst so schön zelebriert, wie er in London so liebevoll und in Berlin so konstruktiv geführt wird - werde inzwischen vor allem aus einem Motiv gepflegt: Angst.

Es wird noch jede Menge anderer Beiträge zum „Dialog“ geben, aber diesen wollte ich hier schon mal als Appetizer posten - der Rest morgen in der Jungle World am Kiosk.


Respekt vor der Gewalt
In Europa treten viele Politiker den Drohungen der Islamisten nur halbherzig entgegen. Viel lieber werden Verständnis und Respekt gefordert. Von Theodor Holman

Wann immer irgendetwas im Vatikan passiert, ist das der Aufmacher der Fernseh-Nachrichten – obwohl im eigentlichen Sinne nie etwas passiert: Der Papst ist krank, der Papst stirbt, es wird ein neuer Papst gewählt, ach, schau mal, da kommt weißer Rauch aus dem Schornstein… Das ist alles.

Unlängst jedoch sagte der Papst etwas »Bedeutendes«, aber das erreichte in den Niederlanden nicht die Titelseiten. Das lag daran, dass das Bedeutende, was der Papst sagte, niemand verstanden hatte. Er zitierte irgendwie eine Art Kaiser, der schon ein paar hundert Jahre tot ist und der Probleme mit dem Islam hatte. Im Vatikan nannten sie es »Wissenschaft«. Eigentlich sagte der Papst wohl: Wir versuchten damals, die Menschen zu christianisieren, indem wir ihnen mithilfe von Märchen einen Bären aufbanden, der Islam aber missionierte mit Gewalt…

Und was geschah? Die »muslimische Gemeinschaft« – ich habe inzwischen keine Ahnung mehr, aus wem oder was diese Gemeinschaft genau besteht –, diese muslimische Gemeinschaft also wurde auf einmal schrecklich wütend. Was hat sich der Papst nur dabei gedacht?! Die Muslime bestritten vehement, dass sie Gewalt gebrauchten, das ging nun wirklich zu weit! Der Papst musste sein Bedauern ausdrücken, und um zu untermauern, dass Seine Heiligkeit Unrecht hat, wurden eine Nonne ermordet und ein paar Kirchen in Brand gesteckt…

Nachdem man vor zwei Jahren meinen Freund Theo van Gogh abgeschlachtet hatte, wurde ich von verschiedenen muslimischen Gemeinden eingeladen, um mit ihnen zu debattieren. Das war manchmal kompliziert, weil ich zu jener Zeit von Sicherheitsleuten beschützt wurde und meine Beschützer mir dringend abrieten, zu diesen Diskussionen zu gehen, weil solche Debatten doch mal aus dem Ruder laufen könnten, und dann könnten sie nicht für meine Sicherheit garantieren.

Aber gut, ich bin ein freundlicher Mensch. Ich stelle mich auf die Bühne mit einem hübschen Lächeln, dann sehen sie, dass ich ein netter Junge bin, nicht aggressiv und voller Freiheitsliebe, und dann habe ich nichts zu befürchten. Aber so sehr ich auch meine Mundwinkel zu den Ohren zog, so liebenswürdig ich versuchte, meine Ansichten zu formulieren, die Stimmung wurde immer grimmiger.
»Aber findet Ihr es etwa gut, dass Theo van Gogh umgebracht wurde?«
»Er hat es selbst zu verantworten mit seinen beleidigenden Aussagen über Allah.«
»Selbst wenn sie beleidigend gewesen sein sollten, dann bringt man doch jemanden nicht um.«
»Ihr ermordet hunderttausende Unschuldige im Irak und in Palästina, darüber sprecht Ihr nie!«
»Da wird schon drüber geschrieben. Sehr viel sogar. Es ist praktisch keine Zeitung zu finden, die hinter Bush steht.«
»Das ist nicht wahr, Ihr tötet auch unschuldige Opfer, und da lese ich nie etwas drüber. Und wenn dann so ein Idiot wie Theo van Gogh umgebracht wird, dann empört sich auf einmal jeder.«

Ich habe mit dem Diskutieren aufgehört. Und muss nun zusehen, wie in ganz Europa die Freiheit, die Meinung zu äußern, immer weiter eingeschränkt wird.

In jenen Tagen erhielt ich Besuch von der schwer bewachten Ayaan Hirsi Ali. Ayaan war Mitglied des Parlaments, und obwohl sie von sechs Mann beschirmt wurde, konnte sie nicht in die Zweite Kammer gehen, um ihr Mandat wahrzunehmen, erzählte sie mir. Unser Justizminister und der Innenminister vermochten ihre Sicherheit nicht zu garantieren. Wie bitte? Sie war doch eine gewählte Volksvertreterin – wichtigere Leute haben wir nicht in einer Demokratie. Sie muss im Parlament sitzen, um ihre Pflicht zu tun. Nein, es ginge nicht, unmöglich, hieß es. Wenn sie ins Parlament gehen würde, sei nicht nur sie gefährdet, sondern auch die anderen Parlamentarier. »Dann lass sie die Armee neben dich setzen!« rief ich aus. Nein, das wollte man nicht. Das sei zu teuer. Ayaan wurde auf diese Weise mundtot gemacht.

Danach verfolgte ich die Aufregung um die dänischen Karikaturen. Im Nachhinein kann man resümieren, dass sich Europa nicht gerade heldenhaft verhalten hat. Was wäre geschehen, wenn sämtliche europäischen Zeitungen die Cartoons abgedruckt hätten, notfalls auch mit einem kritischen Kommentar versehen? Wir hätten damit gezeigt, was uns Meinungsfreiheit wert ist. Stattdessen wichen wir vor dem Terror zurück, vor den Bränden in Botschaften, vor merkwürdigen Aussagen von islamischen Regierungschefs, die nicht wollten, dass man sie verspotte. Die Frage, wer eigentlich die Sache ins Rollen gebracht hatte, die dänischen Karikaturisten oder die Jungs, die die Cartoons ihren islamischen Führern zugesteckt haben, war kaum ein Thema.

Unterdessen erschienen immer mehr Greise auf den Fernsehschirmen und forderten, dass wir uns anständig benehmen sollten, dass wir Verständnis haben und uns um einen »Dialog« bemühen sollten. Und das Allerwichtigste war: Wir sollten Respekt haben! Respekt vor, Respekt für, Respekt, Respekt, Respekt. Was um Himmels Willen war damit gemeint? Dass man jemanden ganz selbstverständlich bewundern muss, dass man jemanden selbstverständlich nett finden muss? Dass man jemanden einfach als ebenbürtig behandeln soll?

Es steckt merkwürdigerweise etwas sehr Herablassendes in dem Wort Respekt. Wenn man sagt: »Ich habe großen Respekt vor dem Politiker Soundso«, dann hat man eigentlich nichts über ihn zu sagen, dann findet man seine Politik wahrscheinlich nicht einmal besonders gut (sonst hätte man das ja gesagt), und dann hat man vermutlich wenig Achtung vor ihm, nur ist man zu höflich, um das direkt zu sagen. Deshalb sagt man, dass man ihn »respektiert«.
Warum wollen Leute dann so gerne respektiert werden? Es bedeutet nichts. Und es hat den Beigeschmack von: Zensier dich selbst, sag nicht alles, was dir in den Sinn kommt, da gibt es Leute, die das als beleidigend empfinden, und die beantworten das mit Gewalt.

Und so sehen wir uns in Europa mit einem wachsenden Stockholm-Syndrom konfrontiert – unsere Sehnsucht nach Empathie. Weil wir den Anderen absolut nicht verstehen, versuchen wir, so viele Ähnlichkeiten wie möglich mit ihm zu finden, und verleugnen so unsere eigenen Werte und Normen. »Freie Meinungsäußerung ist nicht in jedem Falle gut«, hörte ich neulich. Ich traute zunächst meinen Ohren nicht. Aber ach, ich hörte meinen eigenen Justizminister auch sagen, dass »eine wirkliche Demokratie nur möglich ist, wenn man an Gott glaubt«. Und er sagte: »Wenn zwei Drittel der Bevölkerung die Sharia wünschen, dann muss die Sharia eingeführt werden. Das ist Demokratie.«
Mit anderen Worten: Wenn zwei Drittel der Bevölkerung die Demokratie abschaffen wollen, dann muss man die Demokratie abschaffen, denn das ist Demokratie. Unser Justizminister ist nicht zurückgetreten, er wird wahrscheinlich wiedergewählt: Der Sharia-Hohepriester steht weit oben auf der Liste der Christdemokraten.

Via E-Mail habe ich gerade wieder eine Anfrage erhalten, an einer Debatte mit muslimischen Jugendlichen teilzunehmen, »weil wir den Dialog fortsetzen müssen«.
Ich werde es tun.
Weil ich Angst habe.
Ich – der größte Atheist des westlichen Halbrunds – werde sogar darlegen, dass der Papst sagen darf, was er will, selbst wenn er meine Worte zensieren wollte. Aber wenn sie an einem bestimmten Punkt fragen: »Sind Sie einer Meinung mit dem Papst?« Dann muss ich gegebenenfalls auch den Mut haben, »Ja« zu sagen.

Der niederländische Journalist Theodor Holman lebt in Amsterdam, arbeitet als Radiomoderator und als Kolumnist für die Zeitungen Het Parool und De Groene Amsterdammer.

(Übersetzung: Ivo Bozic)


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