Dienstag, August 15, 2006

Hat Gott gelächelt? (und worüber?)
Wenn man ein Buch vermarkten will, das weiß nicht nur Dieter Bohlen, muss man mit irgendwas schocken. Nachdem ein deutscher Kardinal aber schon Hitlerjunge war, und dies kein Hinderungsgrund darstellte, Papst - also die höchste moralische Instanz auf Erden - zu werden, musste Günter Grass - ebenfalls hauptberuflich moralische Instanz - schon noch eine Schippe drauflegen. Hitlerjunge war Grass auch, das hätte also niemanden mehr interessiert. Hitlerjunge, waren wir nicht alle Hitlerjungen? Die Bild hat das ja bereits einmal nahegelegt. Waffen SS aber könnte klappen. Schockt, rockt, fetzt. Aber auch nur einmal. Der nächste Promi, der eine Biografie herausgibt, wird sich da schon noch was einfallen lassen müssen. Vielleicht NS-Scharfrichter oder KZ-Wärter. Das könnte funktionieren. Aber auch das ist dann irgendwann verraucht. Die Bild-Titelstory „Ich war auch KZ-Wärter“ ist dann nur noch eine Frage der Zeit. Und irgendwer berichtet dann: „Wir standen vorm Tor rum und haben Ich-sehe-was-was-du-nicht-siehst gespielt. Was da drinnen abging, hat ja niemand wissen können, die Mauern waren drei Meter hoch!“ Und es kann ja nicht jeder Papst werden, oder Literaturnobelpreisträger…

Womit ich jetzt nicht behaupten will, Grass hätte sich die Sache mit der Waffen SS nur ausgedacht. Wird schon stimmen, schließlich gibt es einen Zeugen. Den eben erwähnten Papst Benedikt, Joseph Ratzinger also. Grass berichtet, dass die beiden zusammen im Kriegsgefangenenlager Bad Aibling gewesen seien. Franz Josef Wagner schreibt daher heute in der Bild einen Brief an den „Heiligen Vater“ und stellt die nicht unerhebliche Frage: „Kennen Sie Grass?“ Genau! Das würde ich auch gerne wissen! Wenn die beiden da zusammengehockt haben, wie Grass andeutet, dann wird der Günter dem Joseph ja wohl erzählt haben, dass er aus der Waffen SS kommt. Hat sich also der Papst der Mitwisserschaft schuldig gemacht? Hat der Katholikenpapst seine schützende Hand der Diskretion über den Literaturpapst gelegt, vielleicht weil die eine Krähe der anderen kein Auge auskratzt?

Wagners Brief nimmt nach dieser sehr berechtigten Frage allerdings eine andere Wendung: „Wenn das wirklich so war, dann hat Gott über beide gelächelt. Er hat den einen zum Papst gemacht und den anderen zum Dichter. Gott hat keinen Unterschied gemacht zwischen Unschuldigen und Schuldigen.“ Über diese Passage grübele ich nun schon seit Stunden. Wer ist denn nun der Schuldige und wer der Unschuldige bei den beiden? Warum macht Gott keine Unterschiede? Und sollen wir uns daran ein Beispiel nehmen? Wieso hat Gott gelächelt angesichts zweier Nazi-Täter? Und: Ist Grass wirklich ein „Dichter“?

Daher also mein Brief an Wagner: „Lieber Franz Josef Wagner, normalerweise lieben Sie das direkte Wort und immer wieder schaffen Sie es, mit ihrem unbestechlichen Engagement etwa für Raucher mein Herz zu rühren. Aber was wollen Sie andeuten mit diesem Brief an den Heiligen Vater? Dass es gut und gerecht ist, dass Hitlerjungen und Waffen-SSler ihren Weg machen können, und dass Gott milde ist und sich einen Dreck um Schuld oder Unschuld schert? Oder ist das etwa eine ganz verklausulierte Kritik an der ganzen heuchlerischen Scheiße, die sich da vor unseren Augen abspielt? Wie, Herr Wagner, geht es Ihnen, wenn sich eine Zwiebel häutet? Weinen Sie? Und wenn ja worüber? Es würde mich wirklich interessieren. Herzlichst, Ihr I. Bozic