Dienstag, Juni 06, 2006

Spar-Protest
Bei trübem Regenwetter folgten am letzten Samstag weniger als 10.000 Menschen in Berlin einem Aufruf zu einer Demo gegen die Hartz-IV-Verschärfungen (siehe Foto). Besonders beliebt auf Transparenten und bei Rednern war der Slogan: „Wir sind das Volk“. Denn das Volk hat den Eindruck, mächtig beschissen und betrogen worden zu sein. Doch „das Volk“ bestand aus den üblichen Gestalten (Linkspartei, MLPD, DKP, attac, eine Ver.di-Delegation, „linksradikaler Block“), die bei jedem Event zusammenkommen, egal ob es gegen Sozialabbau, für den Frieden oder gegen den Bush-Besuch geht. Wo also war „das Volk“?

Gehen wir mal ziemlich genau zehn Jahre zurück. Das war die Ära Helmut Kohl. 350.000 Menschen strömten nach Bonn zu einer Kundgebung gegen das „Sparpaket“ der CDU/FDP-Regierung. Aufgerufen hatte der DGB, es war die größte Kundgebung der Gewerkschaften in der Geschichte der Bundesrepublik. Die SPD war auch vor Ort, und im Bundestag stimmte sie gegen die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, der Lockerung des Kündigungsschutzes, der Anhebung des Rentenalters und der Einsparungen im Gesundheitswesen.
Ziel des damaligen „Sparpakets“: Die Arbeit (sprich die Lohnnebenkosten) müsse billiger werden, so würden Arbeitsplätze geschaffen. Mit dieser Methode versucht man es also schon seit über zehn Jahren und nachdem das alles nichts genutzt hat und sich gezeigt hat, dass dies offensichtlich der falsche Weg ist, ist ja inzwischen auch die SPD der Meinung, dass dies der richtige Weg ist.

Nun waren die Sparmaßnahmen damals ein Fliegenschiss gegen das, was Rot-Grün mit Hartz IV und Arbeitsmarktreform beschlossen hatte und gegen das, was Schwarz-Rot heute durchzieht. Deshalb waren die Aufrufer zu dieser Demo am letzten Samstag auch richtig wütend und forderten „französische Verhältnisse“. Doch es waren dann nicht nur keine französischen sondern noch nicht mal Bonner Verhältnisse. Es war, kurz gesagt, ein Megaflop, angesichts der Drastik der Regierungsbeschlüsse und ihrer konkreten Auswirkungen und angesichts der unverschämten Schmarotzer-Debatte, mit der diejenigen, die das alles betrifft, in die Enge getrieben werden.

Was ist passiert in diesen zehn Jahren? Zum einen war zwischendurch die SPD an der Macht und ist es jetzt ja auch noch. Das „kleiner Übel“ hat dafür gesorgt, Sozialdemokraten und Gewerkschafter auf Kurs zu bringen. Zum anderen sind sich ja inzwischen alle einig, dass die Globalisierung an allem Schuld ist, und damit also wohl nicht die Bundesregierung, die sich ja nur um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands sorgt. Globalisierung böse => Nation gut. Darum führen selbst Äußerungen, dass Arbeitslose arbeiten sollen, auch ohne jeden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Sinn, und auch ohne Lohn, nicht zu einem Aufschrei der Empörung. „Dem Volk dienen“, sollen alle, die „Bonzen und Millionäre“, aber auch die Arbeitslosen. Und wenn sie den Spargel ausgraben und wieder einbuddeln und wieder ausgraben, bis der Acht-Stunden-Arbeitstag rum ist.

Die Globalisierungsdebatte und eine große Koalition führen zur nationalen Geschlossenheit, und „das Volk“ sorgt sich lieber um Guantanamo, den Irak, den Nahen Osten und den Klimawandel. Und so hat die Anti-Globalisierungsbewegung, die sich gerade im Hinblick auf soziale Interessen gegründet hat, mit dazu beigetragen, dass der soziale Protest innerhalb des nationalen Rahmens nicht mehr funktionieren will. „Du bist Deutschland“ - die Kampagne der Bundesregierung hat nur ausgedrückt, was immer mehr denken. Beim G8-Gipfel in Heiligendamm nächstes Jahr, da wird dann wieder mächtig Trubel sein, um die deutschen Interessen gegen die böse Welt zu verteidigen.

Übrigens: Schwerpunktthema zum Sozialabbau in der neuen Jungle World.
Darin Felix Baum über den Wahn der Kampagne gegen die Arbeitslosen. Stefan Frank über Billigjobs. Stefan Ripplinger über "Biedermänner und Scgmarotzer", und von mir eine kleine Reportage von der Sozialdemo.