Freitag, Juli 14, 2006

Zeitung machen in Kreuzberg
Mal ein kleiner Alltagsbericht aus der Redaktion…

Seit Tagen komme ich kaum aus dieser stickigen Fabriketage heraus. Warum? Weil die anderen überall in der Welt herumdüsen. Unser Libanon-Korrespondent, den wir grade dringend brauchen, war natürlich zufällig in Berlin, als es da unten losging. Letzte Nacht hat er es irgendwie geschafft, einen Flug nach Amman zu bekommen, sich von dort nach Damaskus und weiter mit einem Taxi für 30 Euro nach Beirut (in die andere Richtung kostet es wohl grad 250) durchzuschlagen. Dort in seinem Viertel gibt es jetzt keinen Strom und um ihn herum packen grade alle ihre Sache. Trotzdem brauchen wir seine Reportage bis Sonntag. Immerhin funktioniert sein Handy (solange der Akku voll ist…) Na, ob das mal gut geht! Da sind gute Nerven nötig.

Dann muss noch ein Interview mit jemandem in Tel Aviv geführt werden, auf Englisch und übersetzen müssen wir das auch noch. Und es ist schon Freitag! Unser Lieblingsreporter aus Baltimore, USA war extra in Berlin, um aus fernwestlicher Sicht eine Reportage über das WM-Finale bzw. das Drumherum zu machen, natürlich auch auf Englisch, sprich: musste erst übersetzt werden, während die Uhr weitertickte. Außerdem Gegenstände, die er auf der Fanmeile gesammelt hat, einscannen, aus etwa 300 Fotos die richtigen auswählen usw. Der Mann ist inzwischen in St. Petersburg und will über jeden Schritt bezüglich seiner (sehr schönen) Reportage informiert werden. Zuerst wollte man ihn nicht über die Grenze nach Russland lassen, weil man ihn oder die Jungle World wohl für antiglobal hielt. Das Problem konnte geklärt werden. Jetzt schickt er Emails vom G8-Pressecenter aus, man kann sagen, die Kommunikation ist äußerst kompliziert…

Die Kollegin in der Ukraine meldet sich nicht und Dr. Motte macht mir Sorgen (wer kümmert sich?), aber mit unserem Kollegen in Mexiko funktioniert immerhin alles bestens, der Draht in den Irak steht, Jerusalem hat Strom, Bulgarien kommt aus Wien, Carrell auch. Indien machen wir von hier aus, aber auch Berlin ist manchmal schwer zu erreichen: Ein Autor will abends angerufen werden, weil er vorher arbeitet. Ich arbeite auch VORHER, aber wegen ihm nun also auch abends. Und ein anderer Autor befindet sich seit Stunden ohne Handy an einem See, obwohl ich ihn JETZT erreichen müsste und auch gerne an einem See wäre!

Während wir die aktuelle Zeitung produzieren, haben wir noch diverse Dauersitzungen und planen die Holland-Doppelnummer, Autoren kommen in der Redaktion vorbei und haben Anspruch auf ein wenig Zuwendung. Dass auch noch zwei Veranstaltungen vorbereitet und diverse technische, personelle und soziale Fragen gelöst werden müssen, ist da schon fast eine Nebensache. (Zwischendurch: Volle und leere Aschenbecher fotografieren fürs Dossier.)

Vier Kolleg/innen sind im Urlaub, zwei schwer verkatert, einer ist heute einfach nicht erschienen (was zum Teufel ist passiert?), eine Kollegin ist eigentlich krank, aber hat sich trotzdem hergeschleppt (Danke!). Hier bei mir liegen drei längere Artikelangebote, die ich lesen müsste, zehn Emails, die dringend einer Antwort harren, wenigstens hat niemand geschnallt, dass ich mit Aufräumen/Putzen dran wäre. Ich ernähre mich von Kaffee und Hanuta, der kostbare Sommer verrinnt da draußen vor dem Fenster, das Wochenende muss ich wohl durcharbeiten. Und die Planung für die nächste Ausgabe (eigentlich mein Job) steht noch überhaupt nicht!

So, das war meine „Fünf-Minuten-Pause“, jetzt geht’s wieder an die finale Final-Reportage…

1 Comments:

At 1:46 PM, Blogger Ivo Bozic said...

@jagila. bisher ist die zeitung noch immer voll geworden, wenn auch nicht immer zu aller 100%iger zufriedenheit... aber nach fast zehn jahren jungle world gibt es trotz allem drunter und drüber zum glück eine gewisse professionelle routine...

@torsun. ha! hab heute doch noch meinen mir zustehenden freien tag hinbekommen (wenn auch in bereitschaft) und geh nu mal in die sonne. heute abend bin ich am start, aber nur auf halber kraft, weil morgen geht es wieder so weiter wie siehe oben...

 

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