aus der aktuellen Jungle World:
Wie rechts ist der Klimawandel? Kein Thema bewegt die Menschheit mehr als die Klimaerwärmung. Alle wissen offenbar genau, was zu tun ist. Nur die radikale Linke hat keine Antworten. Das wäre nicht schlimm, aber sie stellt nicht einmal die nötigen Fragen. von ivo bozic
Es wird wärmer und wärmer. Ein Klimawandel in beängstigender Geschwindigkeit vollzieht sich. Das Eis am Südpol schmilzt. Zwischen den siebziger und den neunziger Jahren hat sich das Klima um 0,65 Grad erwärmt. Wenn das so weitergeht, könnte der Mars, von dem hier die Rede ist, eines Tages eine zweite Erde werden, mit Ozeanen und grünen Kontinenten.
Das ist wohl auch der Grund, weshalb der Mensch den Klimawandel auf dem roten Planeten mit erstaunlicher Gelassenheit beobachtet – und weil er, der Mensch, für das Marsklima definitiv nicht verantwortlich gemacht werden kann. Der sich um einiges langsamer vollziehende Klimawandel auf der Erde (0,7 Grad in rund 100 Jahren) hingegen bereitet den Menschen apokalyptische Albträume. Ob der Mensch an der irdischen Klimaerwärmung Schuld hat, ob er sie zumindest beschleunigt, das soll hier nicht das Thema sein.
Setzen wir, obwohl umstritten, ruhig einmal voraus, dass der Mensch die seit dem Ende der letzten Eiszeit vor 10 000 Jahren andauernde Klimaerwärmung tatsächlich in den nächsten 50 Jahren aufhalten oder verlangsamen könnte, wäre das nicht ein großartiges Betätigungsfeld für die Linke? Umweltschutz gilt von Anfang an als ein klassisch linkes Thema – fälschlicherweise, wie wir inzwischen wissen. Und auch beim Klimaschutz sind spezifisch linke Ansätze kaum zu vernehmen. Gäbe es überhaupt eine emanzipatorische Klimapolitik? Eine dumme Frage? Sicher, wenn man davon ausgeht, dass die Welt bald unterzugehen droht, erübrigt sie sich. Man kann dann alle Nebensächlichkeiten – Links, Rechts, Mann, Frau, Faschismus, Kommunismus, Jihad, Migration, Krieg und Frieden – vergessen und sich einzig und allein dem großen gemeinsamen Menschheitsprojekt Klimarettung widmen, ja man sollte es dann sogar tun. Sind wir wirklich bereit, die Klimaerwärmung so ernst zu nehmen? Und wenn nicht, weshalb nicht? Vielleicht ja aus guten Gründen.
Die Frage danach, wie links der Klimaschutz ist, drängt sich auch deshalb auf, weil das wenigste, was an Maßnahmen diskutiert wird, mit linken Vorstellungen zusammenpasst. Atomkraft zum Beispiel. Gefährlich ja, riskant. Aber wenn es wirklich so dramatisch ernst um unser aller Überleben steht, wenn es um wenige Jahre geht, in denen sich alles entscheidet, wie uns erklärt wird, wie kann man dann ernsthaft darauf verweisen, man müsse die Forschungen zu erneuerbaren Energien intensivieren, damit man so irgendwann einmal alle Energieprobleme lösen könne.
Die Energiepreise zu erhöhen, ist auch so eine beliebte Forderung. Mehr soziale Gerechtigkeit bedeutet das ganz sicher nicht. Zu Recht beschwert sich die Linke (und nicht nur sie) über die Armut auf dem afrikanischen Kontinent, doch wer um das Überleben des Planeten bangt, der kann keinesfalls den wirtschaftlichen Aufschwung Afrikas wünschen. Wenn die alle auch noch Auto fahren!
Die Modernisierung der Entwicklungs- und Schwellenländer müsste aus Klimaschutzsicht verhindert werden. Tatsächlich fordern Klimaschützer, die Entwicklungshilfe »so zu lenken, dass Dritte-Welt-Länder ohne weiteren Ausbau der Nutzung fossiler Energieträger direkt zu einer umweltverträglichen Energieversorgung (Solarenergie, Windenergie, Energie aus Biomasse) übergehen können«. Klingt gut, doch das bedeutet nichts anderes, als ihre Versorgung mit Energie und damit ihre wirtschaftliche Entwicklung auf unbekannte Zeit hinauszuzögern. Die Entwicklungsländer sind daher durchaus zu Recht beunruhigt über die gegenwärtigen Klimadebatten.
Alle anderen sind sich gespenstisch einig, das allein sollte uns verunsichern. Auch dass sich ausgerechnet Kapitalismusmodernisierer wie Al Gore und Tony Blair als Klima-Galionsfiguren profilieren, scheint bei Linken keinen Verdacht zu erregen. Der Emissionshandel, Kernstück des von Klimaschützern so leidenschaftlich verehrten Kyoto-Protokolls, verhindert zwar kaum Emissionen, aber den Banken, die den Handel organisieren, spült er das Geld nur so in die Kassen. Die Versicherungsbranche, die besonders vehement die Klimaangst schürt, hat die Prämien für Naturkatastrophen in die Höhe getrieben und verdient prächtig daran. Die Rückversicherer lagern gleichzeitig ihr Risiko durch den Verkauf von Katastrophenanleihen aus, an denen sich wiederum die Hedgefonds boomartig bereichern. Im Internet stößt man auf unzählige Seiten mit Ratschlägen für Banker, Broker und Anleger, wie mit dem Klimawandel, oder sollte man besser sagen: mit der Klimaangst, Geld zu verdienen ist. Wäre es nicht Aufgabe der Linken, auf die Instrumentalisierung der Klimaangst aufmerksam zu machen, anstatt sich auf Live-Earth-Konzerten zu tummeln?
Dass man die wissenschaftlichen Debatten um die Klimaerwärmung als Laie nicht wirklich bewerten und einordnen kann, muss auch nicht dazu führen, jeden Unsinn mitzutragen. Kein Fernsehbericht über den Klimawandel kommt zum Beispiel ohne das Bild von auseinanderbrechenden Eisbergen aus. Die Frage, wozu wir Eisberge brauchen, stellt niemand. Stattdessen wird, während diese Bilder über die Mattscheibe flimmern, vom Steigen des Meeresspiegels geredet. Das hat allerdings nichts mit schmelzenden Eisbergen zu tun. Eisberge verdrängen gefroren genauso viel Masse wie geschmolzen. Das ist wie beim Eiswürfel im Wasserglas.
Auch Eisbären sind sehr beliebt als Motiv. Sie sind ja auch so knuffig. Kaum ein Bericht verzichtet auf die Feststellung, sie seien vom Aussterben bedroht. Das sind sie tatsächlich – seit dem Ende der Eiszeit, welches Mammut und Säbelzahntiger im Unterschied zum Eisbären nicht überlebt haben. Allerdings, während es in den fünfziger Jahren weltweit nur noch etwa 5 000 Eisbären gab, sind es heute – dank der Einschränkung der Jagd – etwa 25 000. Wenn sie weiterhin in dem Tempo aussterben, begegnen wir ihnen bald auf dem Ku’damm.
Gletscher werden ebenfalls gemocht. Sie sehen ja auch wirklich hübsch aus. Harald Schmidt hat über den Aletsch-Gletscher einmal gesagt: »Da sehe ich immer diese zwei Postkarten: 1912 und heute. Na und? 1912 wurden die Menschen 43 Jahre alt, heute werden sie 95. Man kann nicht alles haben. Entweder Gletscher oder frühes Ende. Oder kein Gletscher und elf neue Hüften. Man muss sich auch mal entscheiden. Entweder der Mensch oder die Natur.« Polemik, klar. Aber mit einem wahren Kern.
Braucht der Mensch Gletscher? Die Himalaja-Gletscher werden als Trinkwasserreservoir benötigt, die Alpen-Gletscher nicht. Seit dem Gletscherhochstand von 1850 sind etwa 100 Gletscher in den Schweizer Alpen verschwunden. Die Gesamtfläche der Alpengletscher nahm von 1850 bis Ende der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts um 50 Prozent ab. Wir haben es überlebt. Der große Pasterze-Gletscher in Österreich ist seit 1856 beinahe um die Hälfte geschmolzen. Er hat sich aber auch erst während der Kleinen Eiszeit ungefähr ab dem 15. Jahrhundert derart ausgedehnt. Im warmen Mittelalter gab es dort, wo heute noch unnützes Eis liegt, eine fruchtbare Almweide, Gold-Bergbau und Kiefernwälder. Als Mitte des 17. Jahrhunderts die Gletscher in den Alpen vordrangen, zerstörten sie Gehöfte und Dörfer.
Das drohende Abschmelzen des Polareises wird riesige Öl- und Erdgasvorkommen am Grund des Polarmeeres freisetzen, ein Viertel des weltweiten Vorkommens lagert dort, schätzt der Geologische Dienst der USA. Ölgesellschaften, die EU und die russische Regierung stehen schon in den Startlöchern. Aber auch wenn ein Klimawandel dramatische Veränderungen für die Menschen bedeuten und bestehende politische und gesellschaftliche Systeme in Gefahr bringen kann, stellt sich letztlich die Frage: Was ist schlimmer, Klimaerwärmung oder der so genannte Klimaschutz?
Für radikale Linke ist Klimaschutz ohnehin kein Thema. Und wenn, stellen sie schnell fest, innerhalb des Kapitalismus könne nicht umweltfreundlich produziert werden. Kurz: Der beste Klimaschutz sei Antikapitalismus. Doch das ist fauler Zauber. Wer akut die Klimakatastrophe fürchtet, kann nicht auf ein utopisches Ziel in ferner Zukunft verweisen, an dessen Realisierung er selbst nicht ernsthaft glaubt. Außerdem: Veränderte Eigentumsverhältnisse bedeuten ja nicht automatisch veränderte Produktionsweisen. Auch im schönsten Kommunismus würden wir doch nicht zur Steinzeit zurückwollen. So wenig wie ein realsozialistisches AKW sicherer als ein kapitalistisches ist, ist ein sozialistisches Chemiewerk sauberer.
Alle reden über das Klima, die radikale Linke nicht. Vielleicht ist es das Beste, was sie tun kann. Aber dass da eine offene Frage im Raum steht, ist nicht zu übersehen.
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