Sonntag, August 10, 2008

Zwei palästinensische Zehen
„Es waren Bilder, die weltweit für Empörung sorgten“, schrieb Ulrike Putz im Spiegel und hatte damit sogar Recht. Es war ja auch empörend, was sie beschrieb: „Ein junger Palästinenser steht neben einem Militärjeep. Er hat die Hände hinter dem Rücken gefesselt, seine Augen sind verbunden. Unsicher tritt er auf der Stelle. Ein israelischer Soldat, etwa einen Meter entfernt, hält zögerlich sein Gewehr auf den Mann gerichtet. Ein Offizier scheint zu seinem Untergebenen zu sprechen, er schiebt den Gefangenen am ausgestrecktem Arm in die Schusslinie. Daraufhin zielt der Soldat, er schießt. Der 27jährige Ashraf Abu Rahma wird am Bein getroffen, die Kamera verreißt das ohnehin wackelige Bild. Kurz darauf sieht man, wie Abu Rahma am Boden liegt.“

Das Video von dem Übergriff des israelischen Soldaten wurde weltweit im Internet und auf allen Fernsehkanälen ausgestrahlt. Der Vorfall am 7. Juli in Nilin im Westjordanland löste nicht nur weltweit Empörung aus, sondern auch in Israel. In den Medien war es Thema Nummer Eins, ein Sprecher des Militärs erklärte: „Das ist ein schlimmer Vorfall, der allen unseren ethischen Werten widerspricht.“ Der Soldat, der geschossen hatte, wurde vorübergehend festgenommen, Ermittlungen wurden eingeleitet.
Der EU-Parlamentarier Emilio Menéndez del Valle von der spanischen PSOE stellte eine schriftliche Anfrage an den europäischen Rat. Unter eine Petition wurden weltweit 1.250 Unterschriften gesammelt. Und Ashraf Abu Rahma wurde zum Held, zum palästinensischen „Che Guevara“

Und nicht nur er. Auch Salaam Kanaan, “the 17-year old beautiful and quiet girl, who was recording the event that day”, also das Mädchen (Foto links), das das Video drehte, wurde von der Pali-Soli-Szene als Heldin gefeiert: “Since Sunday, both Ashraf and Salaam have become heroes for a while.”

Es gibt nichts zu beschönigen an diesem Vorfall, die verantwortlichen Soldaten gehören dafür verurteilt und Abu „Che“ Rahma ist von Herzen zu wünschen, dass die leichte Rötung und Prellung an seinem Zeh, die er von dem Schuss mit einem Gummimantelgeschoss davontrug, inzwischen zurückgegangen ist.

Bemerkenswert ist nur, dass nicht alle Fußverletzungen, weltweit Empörung, Anfragen an den europäischen Rat und Protestpetitionen auslösen. Dass kein „hübsches, ruhiges Mädchen“ zum Beispiel folgenden Vorfall gefilmt hat:

„Siad Abu Sameks Beine sind beide von den Zehen bis zur Leiste in dicke Verbände gewickelt. Er war einer der wenigen Fatah-Funktionäre, die noch in Gaza lebten. Die Hamas hat ihn unmittelbar nach der Explosion verhaftet. Vier Mal wurde ihm in die Beine geschossen, anschließend habe man Betonblöcke auf die Beine geworfen, um die Knochen zu zertrümmern.“ (Bericht aus der NZZ) Nun wird er in einem israelischen Krankenhaus versorgt.

Eine Unterschriftenliste gegen die Hamas wegen dieses Vorfalls ist im Internet nicht zu finden… In der Tagesschau kam’s auch nicht. Opfer Siad Abu Samek bringt’s mit seinen zertrümmerten Beinen auch nur auf einen einzigen Google-Treffer. Ashraf Abu Rahma mit seinem dicken Zeh auf 18.400. Und während Abu Rahma total beschäftigt ist, die ganzen Interview-Anfragen zu erledigen, hat Abu Samek nur einmal Besuch bekommen im Krankenhaus, von Silke Mertins von der NZZ. Ihr verdanken wir auch den einen Google-Treffer.


Bildquelle: Palestine Monitor